Mütter ohne Namen

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Bei einer Anonymen Geburt wird im Krankenhaus mit der schwangeren Frau ein Codename ausgemacht, mit dem sie angesprochen wird und unter dem ihre Krankenakte läuft. Es wird besprochen, ob sie das Neugeborene sehen, ihm einen Namen geben, es bei sich haben oder die Daten des Babys wissen möchte.
115 Schwangere haben sich in Wien seit 2001 für eine Anonyme Geburt entschieden – An der Notlage, in der viele Betroffene leben, ändert sie aber nichts, kritisieren Sozialarbeiterinnen

Über die Hotline der „Kontaktstelle für Anonyme Geburt-Babyklappe“ der Grazer Caritas informieren und betreuen Christa Pletz und ihr Team anonym Schwangere in Not. Manche Betroffene vertrauen ihre Situation dort, am Telefon, zum ersten Mal jemandem an, die meisten halten ihre Schwangerschaft geheim. „Keiner Mutter, die ich bisher beraten konnte, war das Baby egal“, betont Pletz im Gespräch mit dieStandard.at. „Im Gegenteil: Die Frage ‚Geht es dem Baby gut?‘ erzeugt großen Druck.“
Finanzielle Notlagen und fehlende Zukunftsperspektiven sind die Hauptgründe, warum sich Frauen für eine Anonyme Geburt und gegen ein Leben mit ihrem Kind entscheiden, das vom Jugendamt zur Adoption freigegeben wird. Die Möglichkeit der Anonymen Geburt besteht in Österreich seit 2001. Damals wurde der Paragraph 197 Strafgesetzbuch, der „das Verlassen eines Unmündigen“ unter gerichtliche Strafe stellte, gestrichen und durch den Erlass über Anonyme Geburt ersetzt. In erster Linie sollen damit Kindesweglegungen oder -tötungen verhindert werden – was trotz aller Bemühungen aber immer wieder vorkommt, wenn auch seit 2001 die Zahl der Tötungen von Neugeborenen um 50 Prozent zurückgegangen ist.

Aus allen sozialen Schichten

Allein in Wien gab es seit 2001 115 Anonyme Geburten an den 10 dafür eingerichteten Spitälern; 18 Babys wurden seit dem Jahr 2000 (dem Jahr der Einführung von Babyklappen in Österreich) in die Wiener Babyklappe gelegt. 40 Prozent der betroffenen Frauen in Wien entschieden sich aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus für eine Anonyme Geburt, für 15 Prozent war ein Schwangerschaftsabbruch aus religiösen oder ethischen Gründen undenkbar. Acht Prozent wählten diesen Ausweg, weil sie in einer Gewaltbeziehung lebten; fünf Prozent, weil ein Kind nicht in ihr Lebenskonzept passte. Die Betroffenen kommen aus sämtlichen sozialen Schichten ,16 -jährige Mädchen sind ebenso darunter wie über 40-jährige Frauen; ein Großteil hat bereits Kinder.
„In vielen Fällen wird die Schwangerschaft erst sehr spät bemerkt oder lange verdrängt, sodass kein Schwangerschaftsabbruch mehr möglich ist; bei anderen Frauen ist ein Abbruch von vornherein kein Thema, sie schaffen es aber aufgrund ihres gesellschaftlichen oder familiären Umfelds nicht, ihr Baby offiziell auf die Welt zu bringen“, erklärt Christa Pletz . Das Kind offiziell zur Adoption freizugeben sei „eine gute, aber keine einfache Lösung“; sie müsse endlich aus dem Tabubereich gehoben werden, um Frauen die Entscheidung dafür zu erleichtern: „Ein Kind herzugeben ist in der Gesellschaft noch immer ein Stigma; Frauen werden nicht selten dafür geächtet, selbst wenn es ein Akt der Liebe der Mutter war, ihr Kind anderen Menschen anzuvertrauen, damit es ihm gutgeht.“

Angst, „entdeckt“ zu werden

Ein Problem sei, dass viele Schwangere in Not aus Angst, „entdeckt“ zu werden, auf die nötigen Vorsorgeuntersuchungen für sich und das Baby verzichten“, sagt Pletz . „In Wien funktioniert das besser, weil dort in allen Krankenhäusern, die Anonyme Geburt anbieten, auch eine anonyme  Vorsorgeuntersuchung angeboten wird.“
Eine übergeordnete Beratungsstelle für Anonyme Geburt sowie fixe AnsprechpartnerInnen für Gesamtösterreich, gesicherte Zahlen und allgemeingültige Informationen dazu gibt es derzeit nicht. Auch im Internet findet sich derzeit keine offizielle Website, die umfassend über Anlaufstellen und Procedere sowie über alle Krankenhäuser in Österreich, die Anonyme Geburt und Babyklappen anbieten, informiert. „Die Zuständigkeiten und Kontaktmöglichkeiten sind in jedem Bundesland und von Krankenhaus zu Krankenhaus anders geregelt, die Abläufe sind Landessache“, sagt Pletz. In Niederösterreich und Oberösterreich zum Beispiel gibt es eine leitende Sozialarbeiterin des Landes für Anonyme Geburt und Babyklappe, in Wien eine leitende Sozialarbeiterin des Jugendamtes im Bezirk. In der Steiermark ist die Kontaktstelle für Anonyme Geburt primäre Anlaufstelle für Beratung, in Kärnten ist es eine Hebamme am Landeskrankenhaus Klagenfurt.
Etwa die Hälfte der Frauen, die in der Steiermark anonym entbinden, melden sich vorher in der Grazer Kontaktstelle, teilweise auch per E-Mail, und möchten Informationen über den Ablauf der Anonymen Geburt, berichtet Christa Pletz . Bei den meisten ist die Schwangerschaft da bereits sehr weit fortgeschritten. „Mein Rat ist, vor der Entbindung mindestens einmal das Krankenhaus aufzusuchen, die Anonyme Geburt anzumelden, damit das Personal Bescheid weiß und die Betroffene im Vorfeld beraten und betreut werden kann. Viele Frauen kommen aber erst unter Wehen ins Spital.“

Im Krankenhaus wird mit der Frau ein Codename ausgemacht, mit dem sie angesprochen wird und unter dem ihre Krankenakte läuft. Es wird besprochen, ob sie das Neugeborene sehen, ihm einen Namen geben, es bei sich haben und ob sie die Daten des Babys wissen möchte. Die Kosten für den Spitalsaufenthalt von Mutter und Kind übernimmt entweder das Krankenhaus, das Land oder die Gemeinde. „Die Begleitung und Betreuung erfolgt wie bei jeder anderen Geburt auch“, sagt Pletz . „Viele entbinden ambulant und gehen dann gleich heim, Kaiserschnittpatientinnen müssen länger bleiben, was den Vorteil hat, dass sie nachbetreut werden können.“
Die angebotene Nachuntersuchung im Krankenhaus werde von den Wenigsten angenommen. Manche Mütter besuchten ihr Baby aber nach der Geburt noch einmal im Krankenhaus, um sich von ihm zu verabschieden: „Das hilft vielen, ihre Entscheidung, das Baby herzugeben, zu festigen. Die meisten Frauen melden sich auch später nochmal bei der Hotline der Kontaktstelle, um Infos über das Baby einzuholen.“

Die Notlage bleibt

Trotz aller positiver Aspekte sieht Anna-Lisa Putz, leitende Sozialarbeiterin für Anonyme Geburt und Babyklappe der MAG ELF in Wien, die Möglichkeit der Anonymen Geburt kritisch: „Wir sind nicht sehr glücklich mit dieser Lösung, weil sich dabei an der Notlage, in der die Mutter sich befindet, nichts ändert.“ Durch die Anonymität gebe es keine Möglichkeit, die Frauen bei ihren Problemen zu unterstützen. Viele hätten nach der Geburt zusätzlich ein Trauma, weil sie nicht wissen, wo ihr Kind ist und sich nicht trauen, mit jemandem über ihre Situation zu reden. „Auch deshalb appellieren wir an die Betroffenen, sich im Krankenhaus mit Codenamen für die Geburt anzumelden, dann ist zumindest ein begleitendes Gespräch mit der dortigen Sozialarbeiterin oder Hebamme möglich.“

Quelle: Der Standard

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