Frühchen in der DDR

image_pdfimage_print

Frühgeborene, die weniger als 1000 Gramm wogen, wurden in der größten Frauenklinik der DDR über Jahre hinweg ertränkt – eine Praxis, die offenbar überall in der DDR betrieben wurde. Die Tötungen halfen, die Statistik über die Säuglingssterblichkeit der auf internationales Renommee bedachten DDR zu schönen.
Das Baby war mit der Geburtszange geholt worden und hatte eine Riesenwunde am Kopf. Die Ärzte hielten es zunächst für eine Totgeburt.
Doch die Annahme erwies sich rasch als Irrtum. Daraufhin wurde die Hebammenschülerin Christine Hersmann angewiesen, mit einem unsterilen Zipfel Restbinde aus dem Kramkasten einen Nabelverband anzulegen. Als die junge Frau sich weigerte, derart unsachgemäß zu arbeiten, wurde sie belehrt, der unsaubere Verband reiche völlig aus.
Auch den Brutkasten durfte sie nicht einschalten, nicht einmal angezogen werden durfte der Säugling. Wenig später wurde Christine Hersmann aufgefordert, ein Pappschildchen „mit Namen, Geschlecht und der Einstufung ,Totgeburt““ zu beschriften. Als sie sich weigerte, weil das Kind lebte, „mit den Beinchen strampelte und schrie“, hieß es: „Was wollen Sie denn, das Kind zeigt doch nur Reflexe.“
Christine Hersmann befestigte zwar das Schild mit der Aufschrift „Totgeburt“ am Beinchen des Babys, wickelte _(* In der neonatologischen Station der ) _(Frauenklinik der Medizinischen Akademie ) _(Erfurt. ) das Kind aber in saubere Putzlumpen ein und legte es auf ein dickes Brett, das auf der Heizung stand. Der Säugling überlebte ein paar Tage – dann starb er an Lungenentzündung.
Dieser Vorfall, Anfang der sechziger Jahre, war nicht das einzige Vorkommnis, das Christine Hersmann dazu bewog, die Erfurter Frauenklinik zu verlassen. Zuvor schon hatte sie mehrfach erlebt, wie Säuglinge getötet wurden.
Stets handelte es sich um besonders kleine Frühgeborene, die nach der Entbindung in den sogenannten Schieber kamen: „Dort erstickten oder ertranken sie“, so die Hebamme, „weil sie zu schwach waren, den Kopf aus dem Blut und dem Fruchtwasser zu erheben.“
Erst Jahrzehnte später, 1982, kehrte die Frau an die Erfurter Klinik zurück, damals die größte ihrer Art in der DDR. Als sie erfuhr, daß „diese Sache mit den Frühchen immer noch so praktiziert“ werde, bedang sich die Hebamme aus, nicht im Kreißsaal arbeiten zu müssen.
Schon nach kurzer Zeit jedoch wurde sie wieder aufgefordert, sich an der Tötung von Neugeborenen zu beteiligen: „Am Wochenende erwarten wir Fehl- oder Frühgeburten“, wurde sie angewiesen, „stellen Sie sich dazu “nen Eimer Wasser hin.“
Welchem Zweck der Wassereimer dienen sollte, wurde ihr so erklärt: „Sobald entbunden ist, nabeln Sie die Kinder schnell ab. Lassen Sie die, bevor sie ihren ersten Schrei tun, in den Eimer Wasser plumpsen.“
Aus Gewissensgründen, schrieb Christine Hersmann damals an den Direktor der Erfurter Klinik, Erich Wagner, sei es ihr nicht möglich, die ihr „angetragene Aufgabe“ zu erfüllen und Frühgeborene „in einem bereitgestellten Eimer mit Wasser“ zu ertränken. Daß sich Ärzte im Kreißsaal zu Richtern über Leben und Tod von Kindern aufspielten, empfand sie als „Mord“.

… weiterlesen

Hier finden Sie weiteres Informationsmaterial zum Thema DDR.

 

 

 

 

LEAVE A COMMENT