Leibliche Mutter & Adoptierte

  Adoption, Familie, PDF`s auf einen Blick
image_pdfimage_print

Eine Mutter trägt ihr Baby 9 Monate lang unter dem Herzen. In dieser Zeit entsteht ein sehr sensibles und intensives Band zwischen Mutter und Kind, das sich aber noch intensiviert, wenn man das Kind dann hegt und pflegt und aufwachsen sieht.
Viele Kinder, die heute erwachsen sind, suchen ihre leibliche Mutter.
Ich habe vielfach erlebt, dass gerade Herkunftsmütter eine Kontaktaufnahme zu dem suchenden Kind verweigern.
Und ich habe miterleben müssen, wie diese Weigerung von den Kindern aufgenommen wurde.
Es war von Unverständnis, Ratlosigkeit, Wut bis gar eine Verurteilung der Mutter alles, was man sich vorstellen und auch was man sich nicht vorstellen kann, dabei.

Tun Sie das nicht! Verurteilen Sie Ihre Mutter nicht!

Warum?
Nun ja, dazu muss man etwas *um die Ecke* denken.
Ich bin selbst eine Herkunftsmutter und spreche daher aus meinen eigenen Erfahrungen.
Meine Geschichte ist auch alles andere, nur nicht Alltäglich.Ich spreche hier von den Gefühlen einer Mutter.
Warum also kommt es vor, dass Herkunftsmütter den Kontakt zu ihrem leiblichen Kind ablehnen?
Aus Scham. Und weil sie Angst haben.
*Vor mir braucht man doch keine Angst haben* werden Sie jetzt sagen.
Sicher, aber so einfach ist das nicht.
Ob man jetzt einer Mutter das Kind in der ehemaligen DDR oder in der BRD weggenommen hat, bleibt sich eigentlich gleich. Denn ob da oder da, es ist für die immer Mütter beschämend, das man ihnen das oder die Kinder entzogen hat.
Auch wenn eine Mutter ihr Kind freiwillig weggeben oder die Adoptionspapiere unterschrieben hat, sollte man die Gründe hinterfragen. Denn nichts geschieht ohne Beweggründe.
Sie können auch nicht im Vorfeld wissen, ob Ihre leibliche Mutter tatsächlich *freiwillig* die Papiere unterschrieben hat oder ob sie dazu gedrängt wurde und unter massivem psychischem Druck stand.

Wissen Sie das wirklich? Man hat es Ihnen auf dem Jugendamt gesagt?

Das muss aber nicht stimmen.
Eine Mutter schämt sich z. B., weil
– die Familiensituation durch Alkohol und/ oder häuslicher Gewalt nicht so war, wie sie eigentlich hätte sein sollen.
– weil das Kind eventuell das Ergebnis einer Vergewaltigung war.
– weil das Kind durch eine Inzestbeziehung entstanden ist.
– weil die Mutter, aus irgendeinem Grund, im Gefängnis war (in der DDR vielfach ohne Grund, nur weil sie nicht linientreu war)
– weil sie von den eigenen Eltern (bei minderjährigen Müttern)unter Druck gesetzt wurde und diesem Druck nach gegeben hat.

Die Gründe sind vielfältig und bei allen Müttern, von der Familien- bzw. Vorgeschichte anders.
Die Folgeerscheinung dieser Scham ist Angst.
Angst, davor
– dem Kind erzählen zu müssen, was damals wirklich passiert ist.
– dem Kind ihre eigene Version der Geschehnisse glaubhaft machen zu müssen, 
wenn dem Kind von der Adoptivfamilie oder vom Jugendamt die damalige Situation völlig anders geschildert wurde.
– auf Unverständnis bei dem Kind zu treffen, was die damalige Situation und/oder die Beweggründe für das Handeln der Mutter betrifft.
– auf Ablehnung bei dem Kind zu stoßen, nachdem die Mutter dem Kind ihre damalige Lage geschildert hat.

Der prekärste Angstpunkt dieser Mütter aber ist folgender:

Stellen Sie sich bitte diese Situation vor:

Sie wollen, ohne oder mit wenigen Vorkenntnissen zu der damaligen Situation, zu Ihrer Mutter gehen. 
Nach langem Überlegen stimmt Ihre Mutter einem Wiedersehen zu. 
Wenn Sie sich dann gegenüber sitzen, erzählt sie Ihnen, was damals passiert ist. 
Sie sind entweder schockiert oder haben für die Beweggründe Ihrer Mutter keinerlei Verständnis und brechen die Beziehung ab.

Fast alle Mütter die ihr Kind auf eine ungerechtfertigte Art und Weise verlieren und das ist völlig unabhängig davon, wie die damalige Situation aussah, sterben in diesem Moment einen seelischen Tod.
Das oder die Kinder dann ein 2. Mal zu verlieren verkraften sie nicht. 
Ich kenne Mütter die daraufhin Selbstmord begangen haben. Die meisten Mütter wissen aber im Vorfeld, das sie es niemals verkraften könnten das Kind ein 2. Mal zu verlieren und lehnen deshalb eine Kontaktaufnahme ab.

Glauben Sie mir – die Seele Ihrer Mutter weint – wenn Sie Ihnen mitteilen lässt, dass sie keinen Kontakt zu Ihnen wünscht.
Das ist kein Egoismus Ihrer Mutter oder etwa deshalb, weil sie Sie vielleicht nicht liebt oder nie geliebt hat. Nein, das ist reiner Selbstschutz. Um nicht im Nachhinein noch an den Geschehnissen kaputt zu gehen.

Versuchen Sie bitte, egal welche Entscheidung Ihre Mutter trifft, Verständnis für sie auf zu bringen. Vielleicht kommt doch noch der Tag, an dem sich Ihre Mutter es anders überlegt und Sie doch noch sehen will.
Weil sie dann vielleicht die Kraft hat auch eine Ablehnung durch Sie zu verkraften.

Eva Siebenherz

 

LEAVE A COMMENT