Auslandsadoptionen boomen

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Seit in Deutschland kaum noch ungewollte Babys geboren werden, adoptieren immer mehr Eltern aus dem Ausland. Um jedes deutsche Kind, das zur Adoption steht, bewerben sich zehn Paare – bei ausländischen existiert eine solche Konkurrenz nicht. Doch auch für diese müssen sich Bewerber inzwischen auf etwa zwei Jahre Wartezeit einstellen. Folgen sie dem vorgeschriebenen Weg, haben sie erst ein halbes Jahr lang mit dem Stadt- oder Kreisjugendamt zu tun.
Sofern sie dafür geeignet gehalten werden, können sie danach bei einem Landesjugendamt oder einer staatlich autorisierten Agentur vorstellig werden, die die Adoption vermitteln. So will es die Haager Konvention, ein internationales Abkommen zur Sicherung des Kindeswohls bei Adoptionen, die Deutschland 2002 ratifiziert hat.
Vielen Eltern aber dauert dieses Procedere zu lange. Wie Inga Sonnenschein und Peter Stratmann haben sie längst gemerkt, dass Adoptionen sich in Deutschland auch leicht am Amt vorbei organisieren lassen. „Platt ausgedrückt funktioniert das so: Sie gehen ins arme Ausland, holen sich ein Kind und stellen den deutschen Standesbeamten vor vollendete Tatsachen“, sagt Maria Holz von der Kinderschutzorganisation Terre des Hommes.
Gängig sei auch, dass ein Mann im Ausland die Vaterschaft für ein Kind anerkenne, es nach Deutschland bringe und dort von seiner Frau adoptieren ließe. Im Jahr 2006 wurden 49 Prozent der Auslandsadoptionen privat abgewickelt. Gesetzlich ist das zwar nicht vorgesehen, aber auch nicht explizit verboten – und damit erlaubt, so die zuständigen Ministerien.

Bundesfamilien-Ministerium

„Der Großteil will mit der Adoption Gutes, darum wollen wir die Rechtslage nicht ändern“, heißt es im Bundesfamilienministerium. Isabel Jahn aus dem Bundesjustizministerium fügt hinzu: „Jeder ausländische Adoptionsbeschluss muss in Deutschland vom Vormundschaftsgericht bestätigt werden. Dieser strenge Filter schließt Missbrauch aus.“
Diese These erstaunt Jörg Reinhardt, den Experten aus dem Bayerischen Landesjugendamt. Denn wie er aus dem Aufsatz eines Referenten im Bundesamt für Justiz zitiert, werden gerade mal vier Prozent der Anerkennungsanträge abgelehnt. „Soviel zum strengen Filter“, sagt er. Was ihn noch mehr ärgert: „Das Einholen des Richterspruchs ist fakultativ, in der Praxis reicht der standesamtliche Eintrag ins Familienbuch.“ So sind auch Emma und Tills Eltern vorgegangen.
Diese laxe Handhabe passt zur Philosophie des Justizministeriums, wonach ausländischen Adoptionsbeschlüssen ohnehin nicht allzu misstrauisch begegnet werden sollte – schließlich käme ja kein Kind nach Deutschland, ohne dass die Adoption im Herkunftsland für rechtens erklärt würde. „Dies wollen wir nicht pauschal für ungültig erklären. Im Ausland wird auch gut gearbeitet“, meint Isabel Jahn.
Sie denkt dabei wohl an Adoptionen wie die der Bonner Eltern, die ihren Kindern eine gute Zukunft bieten, die in einem geordneten Rechtsstaat über eine anerkannte Stelle adoptiert haben. Sicherlich denkt Jahn aber nicht an Fälle wie den des siebenjährigen Brasilianers, den ein Paar aus dem bayerischen Fürstenfeldbruck nach der abschlägigen Beurteilung seiner Adoptionsfähigkeit im Alleingang nach Deutschland holte – kurz bevor es sich trennte und den Jungen ins Heim gab.
Auch nicht an Vereine wie die französische „Arche de Zoé“, die vermeintliche Waisen aus dem Sudan nach Europa bringen wollte – und kurz vor Abflug herauskam, dass deren Eltern noch lebten.
Erst recht denkt man im Ministerium wohl nicht daran, was Psychologen wie die Wiesbadenerin Irmela Wiemann betonen: „Adoptivkinder haben durch die frühe Trennung von der Mutter mit vielen Belastungen zu kämpfen und sind seelisch tief verletzt“, beobachtet die Spezialistin für Pflege- und Adoptivkinder immer wieder. Hinzu käme die bohrende Identitätsfrage: Warum wurde ich weggegeben?

Zeitnot bei den Jugendämtern


„Aber eine Identitätskrise macht jeder mal durch“, meint Peter Stratmann, der Vater von Emma und Till.Draußen ist es jetzt dunkel, ein Kind nach dem anderen kommt nach Hause, erzählt vom Sport, vom Flötenunterricht, von Freunden. Till hat heute Fahrradfahren gelernt und tanzt um den Tisch, den Helm noch auf dem Kopf, er sieht aus wie ein sehr glückliches Kind.
Dennoch räumen selbst seine Eltern ein: „Natürlich wäre eine Überprüfung der Adoptierenden gut.“ Kürzlich etwa habe sie ein Paar besucht, das sehen wollte, so hatte es angekündigt, ob es „überhaupt Gefühle zu schwarzen Kindern“ aufbauen könnte. „Da erschrickt man schon“, sagt Stratmann. Allein: Seiner Meinung nach kommen einige Jugendämter bei Adoptionen ihrem Auftrag nicht nach – „aus Zeitnot, Inkompetenz oder Unwillen“. Als Bewerber würde man wie „ein potentieller Kinderhändler“ begrüßt. Das Abwenden läge da nahe.

„Es fällt uns in der Tat schwer, etwas gegen Privatadoptionen zu unternehmen, solange die Jugendämter personell und finanziell nicht besser ausgestattet sind“, sagt Miriam Gruß (FDP), Vorsitzende der Kinderkommission im Bundestag. Sie sieht die „rechtliche Grauzone“ der unbegleiteten Adoptionen mit Sorge: „Das Kindeswohl steht dabei nicht immer an erster Stelle.“
Die skandinavischen Länder, Italien und Kanada haben Privatadoptionen darum bereits verboten. Zwar können sie gut ausgehen, wie bei Emma und Till. Genauso kann es aber misslingen, wenn sich Paare in Eigenregie Nachwuchs besorgen. Für die Eltern ist das schlimm. Für das Kind aber ist es eine Katastrophe.

Hier finden Sie weiteres Informationsmaterial zum Thema Familie.

 

 

 

 

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